Norderney

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26 Quadratkilometer groß ist Norderney mit ihren langen Stränden, bunten Salzwiesen, Dünen und dem eindrucksvollen Leben im Wattenmeer. Entstanden ist diese Idylle den Historikern zufolge durch zwei Naturgewalten - der Marcellusflut von 1362 und der Petriflut von 1651. Worauf eine Insel namens "Osterende" entstand, die man heute auf den Land- und Seekarten vergeblich sucht. Geblieben ist Norderney, und wer sich dem Reiz und der Magie dieses Eilands in aller Ruhe nähern möchte, der sichert sich einen Platz in "Bömmels Bimmelbahn" am Rosengarten und lässt sich zwei Stunden lang zu den interessantes Punkten chauffieren.

Inseln sind vom Meer umschlungene Paradiese, auf denen sich die Sehnsucht ihrer Besucher oft aus Büchern speist. Das ist auf Norderney, dem ältesten Nordseebad Deutschlands, nicht anders, auch wenn so mancher Insulaner der Meinung ist, dieses idyllische Stück im Meer habe es eigentlich verdient, häufiger von Schöngeistern besungen zu werden. Immerhin hat hier Heinrich Heine einen Zyklus verfasst, den er "Die Nordsee" nannte.

"Ich liebe das Meer wie meine Seele", fasste der Poet aus Düsseldorf die Eindrücke seiner häufigen Besuche auf Norderney zusammen. Zwar schmeichelte nicht alles, was er über die Insel zu Papier brachte, die Seelen der Einheimischen, doch aus Heines Zeilen sprach die tiefe Zuneigung zu den Dünen, dem Schilfgras und dem Gischt der Meeresbrandung. Und so setzten die Menschen auf Norderney Heinrich Heine ein Denkmal. Es steht, aus Bronze gegossen, vor dem historischen Kurtheater.

Es waren beileibe nicht immer nur die Reichen und die Schönen, die sich unbeschwerte Tage auf Norderney leisteten und sich einen Korb am Strand vor der Promenade mieteten. Aber die Insel wurde dennoch schon sehr früh zum Inbegriff eines erklärten Ziels gekrönter Häupter. Einer der ersten, die sich im Jahr 1863 dort einfanden, war kein Geringerer als der erblindete König Georg V. von Hannover. Und weil ihm die würzige Luft an der Nordsee behagte, adelte er Norderney, indem er die Insel zu einer seiner Sommerresidenzen erklärte. In späteren Jahren gingen die Welfen dort ein und aus, und wer heute als Urlauber durch die Gassen und Straßen bummelt, der wandelt dort zuweilen auf historischem Boden.

Immerhin entstand das, was heute eher geringschätzig als "Profanbauten" bezeichnet wird. Sie hielten auf Norderney den Stürmen in seligen und unseligen Zeiten stand. So, wie das eindrucksvolle Kurhotel oder das Bazargebäude und das Conservationshaus. Und da die royalen Hannoveraner eine enge Beziehung zur britischen Krone pflegten, wurde das Vereinigte Königreich tatsächlich für eine kurze Zeit des 19. Jahrhunderts von Norderney aus regiert.

Es ist recht selten, dass sich Vergangenheit und Gegenwart begegnen, doch auf Norderney ist dies der Fall. Unter einem Kupferdach präsentiert sich die historische Marienhöhe in einem unvergänglichen Glanz. Seit nunmehr 170 Jahren thront der Pavillon auf einer Düne, und wer sich als Urlauber ein besonderes Ambiente wünscht, der lässt sich in dem heutigen Café den Tee servieren. Dies war der erklärte Lieblingsort der Königin Marie von Hannover, die hier die Damen ihres Hofstaates zum Plausch und zu Festen einlud. "Geliebte Misi" nannte König Georg V. seine Frau, die aus dem Hause Sachsen-Altenburg stammte und die er auf Norderney kennengelernt hatte.

Wer mehr über Werden und Sein, über Geschichtliches und Erstaunliches aus der reichen Historie dieses einzigartigen Seebads der Nordsee erfahren möchte, der sollte sich zum Heimat- und Bademuseum begeben, das in einem alten Fischerhaus unweit des Weststrandes untergebracht ist. Die Gäste erhalten dort intensive Einblicke in den Lebens-Zyklus der Insulaner und zu den gesellschaftlichen Entwicklungen im Laufe der Jahrhunderte. Dies ist ein Ort, wo Norderney seine Erinnerungen pflegt.

Manches hat auf der Insel ein wenig Patina angesetzt, doch auch in diesem Ausdruck eines Alterungsprozesses erblicken etliche Gäste eine Prise Romantik und erkennen den Charme einer vergangenen Epoche. Darin hebt sich Norderney eindeutig ab von allen Ostfriesischen Inseln der Nachbarschaft. Staunend stehen sie dann vor der Schanze im Kurpark, die einst als Bollwerk gegen die Briten entstand, die auf Helgoland stationiert waren. Otto von Bismarck war in sehr jungen Jahren Gast auf Norderney. Und auch der spätere Feldmarschall Blücher. Wie es heißt, hatte er sich vor allem in die Spieltische des Casinos verliebt. Und wohl auch in Schellfisch, Bohnen und Hammel, die ihm im Conservationshaus serviert wurden.

Es sind die Dünen, die es schon in diesen Zeiten den adeligen Besuchern der Insel angetan hatten und die sie als Ziel ihrer häufigen Kutschfahrten wählten. Kilometerweit präsentiert sich noch immer der Strand mit seinem perlweißen Sand und mit der urbanen Natur des Wattenmeeres als Teil des großen Nationalparks. Die meisten Urlauber fühlen sich heute am Weststrand oder am Nordstrand besonders wohl. Von dort ist es bis zu den Hotels und deren Annehmlichkeiten nur ein Katzensprung. Doch wer auf Norderney gut zu Fuß ist und sich abseits der Urlaubsströme bewegen möchte, der wandert bis zum östlichen Ende der Insel. Dorthin, wo man die kleine Nachbarinsel Baltrum erblicken kann, wenn die Sicht nicht durch Dunst oder Nebel getrübt wird.

Zu sehen gibt es an dieser Peripherie Norderneys auch das Wrack eines Schiffes, das dort seit 1967 liegt. Dabei handelt es sich um einen alten Muschelbagger, dem der Versuch, einen Heringslogger aus dem Sand des Wattenmeeres zu schleppen, zum Verhängnis wurde. Die Fischer konnten ihr Boot retten, doch der Bagger ist seither der zerstörerischen Kraft der Elemente ausgesetzt.

Viele Gäste der Insel sind immer wieder mit dem Fahrrad unterwegs. Sie haben ihr Auto entweder an der Mole in Norddeich geparkt oder vor ihrem Hotel. Ein interessantes Ziel einer Fahrrad-Tour ist der alte Leuchtturm, der aus dem Jahr 1874 stammt und mit seinen Ziegelsteinen genau 54,60 Meter die Dünen überragt. Wer sich in eine luftige Höhe begeben möchte, um von dort den einzigartigen Ausblick auf die Umgebung zu genießen, der sollte wissen, dass es in dem denkmalgeschützten Leuchtturm keinen Aufzug gibt. Stattdessen 253 Treppenstufen.
Der Turm ist noch immer in Betrieb und sendet die Strahlen seines Lichts über die Weiten des Nationalparks hinaus auf die freie See. Übrigens bewegen sich diese Strahlen aus mehr als tausend geschliffenen Prismen und zwei Dutzend Linsenfeldern nicht wie üblich, von links nach rechts sondern in gegensätzlicher Richtung. Die Frage, warum dies so ist, wird nicht einmal in den Geschichtsbüchern der Insel beantwortet.

Merkwürdig muten auf Norderney jene 75 Steinbrocken inmitten der Stadt an. "Kaiser-Wilhelm-Denkmal" nennt sich dieser Turm, den einst eine Büste des Regenten zierte. Die aber wurde im Ersten Weltkrieg eingeschmolzen - heute ist an gleicher Stelle eine Möwe aus Gips zu sehen. So mancher betrachtet das als Kehrtwendung der Insulaner vom Bürgertum alter Prägung. Eine Geschichte verbindet sich mit den 75 Steinen, denn die kamen aus eben so vielen deutschen Städten und Provinzen, was auf den jeweiligen Plaketten abzulesen ist.

Hinter den klassizistischen Fassaden des Conservationshauses im Kurpark verbirgt sich unter anderem das Tourismusbüro auf Norderney. Es dient aber auch mit seinem "Weißen Saal" und seinem "Großen Saal" als Veranstaltungsort. Stars, Sternchen und Literaten traten und treten hier auf, und im sogenannten "Kurpalais" nippen die Gäste der Insel an ihrem Cappuccino. Im Kaminzimmer liegen tagtäglich die frischen Tageszeitungen vom Festland aus, und an den Internetstationen können die Gäste kostenlos surfen. Sehenswert ist auch die Bibliothek mit ihren Regalen, die bis zur Decke reichen und eine Fülle von Lesenswertem beinhalten

Der Blick ins Geschichtsbuch Norderneys erzählt auch von den Anfängen des Conservationshauses. Ein gewisser Dr. Friedrich Wilhelm von Halem, seines Zeichens "Königlicher Badekommissar", ließ das mit Stroh gedeckte Gebäude im Jahr 1800 samt Kursaal und Billardstube errichten. Das war ihm der Preis von 1394 Talern wert. In dieser Zeit entstanden auch drei mit Torf befeuerte Wannen im "Warmbadehaus". Vier Jahre nach der Eröffnung des Badebetriebs verzeichnete Norderney 600 Gäste. Auf der Insel wurde das Krankenhaus nach Dr. van Halem benannt, und die Zahl der Gäste beträgt in diesen Zeiten pro Jahr mehr als 300.000.

Plüschig und fast so, als sei es ein wenig aus der Zeit gefallen - so wirkt das Kurtheater am Rande des Kurparks auf die Besucher. Und doch ist das kleine barocke Theater, das nach dem Vorbild der Oper in Hannover entstand, eine Perle der Insel. Seit fast siebzig Jahren ist das Haus die Spielstätte der Landesbühne Niedersachsen Nord. Es dient aber auch als Ort von Kinovorführungen.

An den Tagen, wenn Sturm und Regen den Badegästen auf Norderney zusetzten, zog es die Urlauber über Jahrzehnte ins Wellenbad. Es entstand bereits im Jahr 1931 und war das erste seiner Art auf dem Kontinent. Es war ein Riesenspaß für Jung und Alt, in den künstlichen Wellen zu baden oder zu hüpfen. Eines Tages hatte die historische Wellenmaschine mit ihrem 90-PS-Motor aber dann ausgedient und wurde schließlich Teil einer neuen und modernen Erlebnis-Badelandschaft.

Und es fand ein neuer Begriff Einzug auf den Kurbetrieb auf Norderney: Thalasso. Seither rühmt sich die Insel des größten Thalasso-Zentrums in Deutschland. Das Wort ist der griechischen Sprache entliehen und bezeichnet das Meer. Die Thalasso-Behandlungen mit Luft, Wasser, Algen, Schlick und Sand sollen Menschen helfen, ihre rheumatischen Erkrankungen oder die der Atemwege zu lindern. Frisches und unbehandeltes Meerwasser spielt dabei eine wichtige Rolle. Eingerichtet wurden auf der Insel insgesamt zehn Thalasso-Kur-Wege zwischen 1,8 und 13 Kilometern Länge.

Natürlich auch zur historischen Windmühle aus dem Jahr 1862. Es ist die einzige auf den Ostfriesischen Inseln in Niedersachsen. Über einen langen Zeitraum war das "Kap" die Nummer eins unter den Sehenswürdigkeiten Norderneys. Es diente den Seefahrern zu ihrer Orientierung. Stolz sind die Einwohner auch auf ihr Kaiserliches Postamt. Hier wurden einst die Briefe der Urlauber bearbeitet und für den Versand zum Festland vorbereitet. Wer sich für die Gestirne interessiert, der wird an einem Besuch der Wilhelm-Dorenbusch-Sternwarte seine helle Freude haben. Einblicke in die frühen Jahre der Seenotrettung vermittelt das Rettungsboot-Museum zwischen dem Hotel Pique und der Villa Contessa. Prunkstück ist die "Fürst Bismarck". Mir ihr wurden über einen Zeitraum mehrerer Jahrzehnte die Crewmitglieder gestrandeter Schiffe gerettet.

Norderney ist ein "Hotspot" der Sommerfrische an der Nordsee. Eine Insel, die es wert ist, in all' ihren Facetten entdeckt zu werden. Wer mit den Augen fühlen und mit der Seele sehen kann, der wird die Idylle dieses Eilands in sich aufnehmen. Und da die Inseln des deutschen Nordens bedrohte Schönheiten sind, sollten die Gäste auf Norderney mit Strand, Dünen und Wattenmeer behutsam umgehen. Und sie werden dann reich beschenkt ihre Heimreise antreten und noch lange von dem Flair dieser Insel mit ihrer reichen Geschichte träumen.